Russische Revolution von 1905

Russische Revolution von 1905
Russische Revolution von 1905
 
Am 9. Januar 1905 zogen über 140000 Petersburger Arbeiter unter Führung eines Geistlichen zum Winterpalast des Zaren Nikolaus II., um diesem eine Bittschrift zu überreichen. Gefordert wurden der Acht-Stunden-Tag und sonstige Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, die Einstellung entlassener Arbeiter, aber auch die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung. Die Offiziere der Wachmannschaften ließen jedoch auf die friedlichen Demonstranten schießen. Mehrere hundert Tote waren zu beklagen. Mit diesem »Blutsonntag« begann eine Welle revolutionärer Unruhen, die das Zarenreich in den Grundfesten erschütterten.
 
In ihnen entlud sich eine weit verbreitete Unzufriedenheit. Die Bauern, die mit 80 Prozent die Mehrheit der Bevölkerung stellten, waren zwar seit 1861 persönlich frei, doch noch erheblichen Belastungen unterworfen. Verbittert reagierten sie auf Versuche vieler Adliger, ihren Landbesitz auszudehnen. Die Arbeiter, rund 10 Prozent der Bevölkerung, waren enttäuscht darüber, dass der rasche Industrialisierungsprozess für sie nur geringe Fortschritte brachte. Eigene Organisationen waren verboten. In Konfliktfällen stand der Staat meist aufseiten der Unternehmer. Die liberale Intelligenz forderte mehr politische Freiheiten und eine Verfassung. Das Prestige des Zarenregimes wurde schließlich vollends angeschlagen durch den Verlauf des Russisch-Japanischen Krieges.
 
Die Schüsse am »Blutsonntag« zerstörten den Mythos vom »guten Zaren«. Bis zum Herbst 1905 dehnten sich Unruhen und Streiks auf immer mehr Städte des Reiches aus, auch in den Randgebieten, in denen unterdrückte Nationalitäten ihre Rechte einklagten. Überall entstanden im Bündnis von Arbeiterschaft und Intelligenz Organisationen und Par teien, die zum Teil schon vorher illegal tätig gewesen waren. Ihren Höhepunkt erreichte die Bewegung in einem landesweiten, von der gesamten Opposition unterstützten Generalstreik im Oktober 1905. Auf verschiedenen betrieblichen und lokalen Vorformen aufbauend, formierte sich als zentrale Streikleitung in St. Petersburg ein Sowjet, ein Rat der Arbeiterdeputierten. Am 17. Oktober versprach der Zar in einem Manifest bürgerliche Freiheiten und ein Parlament, die Duma.
 
Während sich die Liberalen überwiegend mit den Zugeständnissen zufrieden gaben, wollten die Arbeiterorganisationen den Erfolg vergrößern. Aber die Kraft reichte nicht. Ein bewaffneter Aufstand im Dezember, mit dem Zentrum in Moskau, wurde blutig niedergeschlagen. Vor allem gelang es nicht, Arbeiter- und Bauernbewegung zu verbinden. Vereinzelte Unruhen auf dem Land mündeten erst seit dem Herbst, nicht zuletzt aufgrund der Enttäuschung darüber, dass im Zarenmanifest von einer Lösung der Bauernfrage keine Rede war, in umfassende Aktionen ein. Nachdem die Arbeiterbewegung vorerst besiegt war, konnte das Regime nach und nach auch in den Dörfern die »Ruhe« wiederherstellen. Die gewaltsamen Vergeltungsmaßnahmen zogen sich bis 1907 hin.
 
Obwohl die Revolution scheiterte, veränderte sie Russland. Im April 1906 ließ Zar Nikolaus die »Grundgesetze« verkünden, um der kurz darauf zusammentretenden Duma zuvorzukommen. Sie schränkten die »Selbstherrschaft« (Autokratie) ein: Die Bürger erhielten wesentliche Freiheitsrechte garantiert, die Duma musste den größten Teil des Staatshaushaltes bewilligen und konnte Gesetze einbringen. Diese bedurften allerdings der Zustimmung des Reichsrates und des Zaren, der auch das Recht behielt, das Parlament aufzulösen und durch Notverordnungen zu regieren. Eine staatsstreichartige Änderung des Wahlgesetzes im Juni 1907 sorgte dafür, dass über die Verteilung der Wahlmännerstimmen die linksliberale Mehrheit in der Duma durch eine konservative abgelöst wurde. Ende 1906 begannen Maßnahmen zur Agrarreform, die eine ökonomisch kräftige Bauernschicht schaffen sollte. Auch sonst zeigte das System eine erstaunliche Reformkraft. Die Kluft zwischen dem Zaren, den besitzenden und gebildeten Schichten der »Gesellschaft« sowie dem »Volk« war jedoch nicht so leicht zu schließen.

Universal-Lexikon. 2012.

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